Denkschrift

der

Bundesgruppe Liegnitz - Stadt und Land - e.V.



zu den Themen




Schlesische Heimatstuben


und


Patenschaften für Vertriebene aus schlesischen
Kreisen, Städten und Gemeinden






Verfasser: Bundesgruppe Liegnitz - Stadt und Land - e.V., Dr. Gerhard Kaske, D 45770 Marl, Flämingstr. 20
Tel.: 02365/32359, Fax: 02365/203438, E-Mail: Gerhard.Kaske@gmx.de
Abdruck und Kopie bei Quellenangabe erwünscht.
Stand: 2. Dezember 2006




Vorbemerkung:
Die Einschränkung der Aussagen der 1. Seite auf Schlesien erfolgt aus grundsätzlichen Überlegungen heraus. Es steht jedem Leser frei, anstelle des Provinznamens Schlesien den einer anderen ostdeutschen Provinz aus der Zeit bis 1945 einzusetzen.


1. Geltende gesetzliche Regelungen

Nach dem Grundgesetz Art. 54 unterliegen der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes und der Länder die Absätze

5. der Schutz des deutschen Kulturguts gegen Abwanderung in das Ausland und

6. die Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen.


Infolge dieser Zuständigkeit schreibt das Bundesvertriebenengesetz in § 96 Bund und Ländern vor:

- das Kulturgut der Vertreibungsgebiete im Bewusstsein der Vertriebenen und Flüchtlinge und des gesamten
   deutschen Volkes zu erhalten,

- Archive und Bibliotheken zu sichern, zu ergänzen und auszuwerten und

- Wissenschaft und Forschung bei der Erfüllung dieser Aufgabe zu fördern.



2. Die Gründung von Patenschaften und Heimatstuben

Das Grundgesetz datiert vom 23.05.1949 und das Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz) vom 19.05.1953. Die landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen folgten im 2. Halbjahr 1953 und im 1. Halbjahr 1954. Die Gründung von Patenschaften westdeutscher Kreise, Städte und Gemeinden für Vertriebene und Flüchtlinge aus Schlesien und anderen Vertreibungsgebieten setzte bereits im Jahre 1952 ein.

So beschloss z.B. die Stadtvertretung Wuppertal am 28.10.1952, die Patenschaft für den Stadt- und Landkreis Liegnitz zu übernehmen.

Im Vordergrund der Patenschaftsarbeit standen zunächst soziale Fragen. Doch bald schlossen sich kulturelle Aktivitäten an: das Sammeln von Erinnerungsgegenständen und Kulturgut der Heimat. Es entstanden die ersten schlesischen Heimatstuben. Anfangs diente oft ein Amtsraum im Rathaus der Patenstadt als Sammlungsort. Wenn dieser nicht mehr ausreichte, suchte man nach einer neuen Lösung.
So wurde z.B. die "Liegnitzer Sammlung Wuppertal" am 20.09.1980 in den neu hergerichteten klassizistischen "Haspelhäusern" in Wuppertal feierlich eröffnet.



3. Die heutige Situation von Heimatstuben und Patenschaften

Aus heutiger Sicht ist der in 1. genannte § 96 wohl den großen Kulturinstituten zugute gekommen, aber kaum den Heimatstuben. Diese wurden jedoch in vielfach hervorragender Weise durch die jeweiligen Patenschaften unterstützt. In der Regel stellten sie die Ausstellungs- und Sitzungsräume und den Telefonanschluss kostenlos zur Verfügung.

Das Schlesische Museum zu Görlitz führte in den Jahren 2000/2001 das Projekt "Erfassung der Bestände der schlesischen Heimatstuben" durch. Dabei wurden 62 schlesische Heimatstuben und Sammlungen und 7 Heimatmuseen mit einem Anteil schlesischer Bestände erfasst.

Die Heimatstuben haben ihre Bestände als Geschenke oder Leihgaben erhalten oder haben sie aus Spendengeldern oder Eigenmitteln zugekauft. Sie stellen einen beträchtlichen Schatz an schlesischem Kulturgut dar, der für die Erforschung schlesischer Geschichte große Bedeutung hat.

Durch Ausstellungen, Publikationen und Vorträge im In- und Ausland haben die Heimatstuben bzw. ihre Repräsentanten Kulturarbeit geleistet. So hat z.B. die Liegnitzer Sammlung Wuppertal seit ihrem Bestehen 35 Ausstellungen veranstaltet, davon 9 in Polen.

Alle diese Arbeiten werden von ehrenamtlichen Kräften ausgeführt. Überwiegend sind es die Aktiven der so genannten Erlebnisgeneration, welche diese Betreuungsarbeit leisten und zudem die Zukäufe finanzieren.

Entsprechendes gilt auch für die Patenschaftsarbeit, wozu insbesondere die Organisation der Patenschaftstreffen gemeinsam mit der Patenstadt, die Kontakte mit den Deutschen bzw. den Mitgliedern der Deutschen Sozial-Kulturellen Gesellschaft in der Heimatstadt, die Wahrnehmung von Aufgaben im Rahmen der Partnerschaft zwischen der Patenstadt und der Heimatstadt und anderes mehr gehören.

Wegen des Lebensalters der Aktiven der Erlebnisgeneration muss davon ausgegangen werden, dass die bisherige ehrenamtliche und sachkundige Betreuung der Heimatstuben und die eigene Finanzierung von Zukäufen , aber auch die Mitarbeit in der Patenschaft je nach der Personallage zurückgehen werden. Diese Abklingperiode kann schätzungsweise bis zu 15 Jahre dauern. Damit entsteht die Gefahr des Untergangs des in mehr als fünfzig Jahren zusammengeführten Kulturguts und es stellt sich die Frage, wie Patenschaft zukünftig wahrgenommen werden kann.



4. Neue Konzepte für Heimatstuben und Patenschaften

Die Frage nach neuen Konzepten stellt sich allen Heimatstuben und Patenschaften. Unterschiedlich ist nur, ab wann sie verfügbar sein müssen. Insofern ist es ratsam, die neuen Konzepte sofort und für alle zu überdenken. Beginnen wir mit dem Heimatstuben:

4.1 Heimatstuben

Wir haben einige grundsätzliche Fragen zu stellen und zu beantworten. Diese sind:

4.1.1 Sollen sich die schlesischen Heimatstuben künftig dezentral (wie bisher) oder zentral präsentieren?

Versetzen wir uns gedanklich in eine Zeit, in der die Erlebnisgeneration nicht mehr lebt und die Leitung der Heimatstuben deshalb Fachkräften übertragen werden müsste. Blieben alle Heimatstuben erhalten, wären 69 Fachkräfte mit weiteren Helfern erforderlich.
Das dürfte aus heutiger Sicht nicht bezahlbar sein. Aus wirtschaftlichen Gründen kommt deshalb überall da, wo eine Betreuung notwendig ist, nur eine zentrale Präsentation in Betracht. Dabei sollte aber die kulturelle Vielfalt der schlesischen Regionen nicht verlorengehen.

Eine zentrale Präsentation hat überdies eine größere Ausstrahlung und ist ein größerer Besuchermagnet als bis zu 69 kleine Ausstellungen. Auch für die Archivalien hat ein einziger Aufbewahrungsort eindeutig Vorteile vor vielen Aufbewahrungsorten.

Dem widerspricht nicht der Vorschlag, in den Orten mit Heimatstuben bzw. in den Patenstädten jeweils einen betreuungsarmen oder betreuungslosen Patenschaftsraum einzurichten, wie in Abs. 4.2 näher ausgeführt wird.


4.1.2 Welche Organisationsform soll gewählt werden?

In Betracht kommen die Organisationsformen "eingetragener Verein" und "Stiftung bürgerlichen Rechts".

Die höhere Form der Sicherheit für das schlesische Kulturgut bietet eine Stiftung, weshalb diese vorzuziehen ist. Sie vergrößert überdies die Bereitschaft, Leihgaben in Stiftungen zu überführen und Zustiftungen zu tätigen.


4.1.3 Wer wird Stifter?

Alle schlesischen Heimatstuben sind eingeladen, ihr Inventar in die Stiftung einzubringen. Ein IHK-zugelassener Gutachter, der von uns empfohlen werden kann, ermittelt den Wert dieser Zustiftungen. Barzustiftungen der schlesischen Heimatstuben sind willkommen, aber nicht Bedingung, lediglich beim Erststifter. Wir sind zuversichtlich, dass alle Paten den Weg ihrer Heimatstube in die Stiftung durch eine Zustiftung begleiten werden, wodurch sie eine neue Form der Patenschaft begründen.

Spenden und Zustiftungen erwarten wir von vielen schlesischen Heimatfreunden und unter Hinweis auf den § 96 des Bundesvertriebenengesetzen vom Bund und den Ländern.

Wie in Kap. 3 dargelegt, kann sich die Zeit der Zustiftungen der Heimatstuben über ca. 15 Jahre erstrecken. Es erscheint deshalb sinnvoll, die Stiftung durch eine Heimatgruppe gründen zu lassen und allen anderen Heimatgruppen, Personen, Kommunen, Ländern und dem Bund die Möglichkeit der Zustiftung zu geben. Die Bundesgruppe Liegnitz - Stadt und Land - e.V. hat diesen Weg beschritten und wird in Kürze die Gründung der Stiftung Schlesische Heimatstuben beim Regierungspräsidium Dresden mitteilen können.


4.1.4 Sitz der Stiftung?

Als Sitz der Stiftung wird Görlitz bevorzugt. Dies hat folgende Gründe:
Görlitz liegt auf altem schlesischen Territorium und hat ein deutsch verbliebenes schlesisches Umfeld. Görlitz ist nur durch Brücken über die Neiße vom "restlichen" Schlesien getrennt. Das erleichtert die Zusammenarbeit und gibt allen Reisenden von/nach Schlesien eine gute Möglichkeit des Vergleichs zwischen Schlesien (deutsch/heute) mit Schlesien (deutsch/früher) und Schlesien (polnisch/heute).
Sehr positiv ist die Nähe des Schlesischen Museums zu Görlitz, das Schlesien bevorzugt unter historischen und kunsthistorischen Gesichtspunkten darstellt. Das künftige Museum wird andere Schwerpunkte setzen. Beide Museen werden sich also gut ergänzen.
Wir erwarten, in Görlitz interessierte akademische, nichtakademische und ehrenamtliche Mitarbeiter sowie geeignete Räume zu finden. Letztere wurden uns von Herrn Oberbürgermeister Paulieck in Aussicht gestellt.
Ab dem 17. Dezember 2006 wollen wir im Barockschloss Königshain bei Görlitz schlesische Originaltrachten aus der Sammlung von Frau Geiß-Kaschel ausstellen.

4.2 Neues Konzept der Patenschaft

Grundlage der Patenschaft deutscher Kreise, Städte und Gemeinden für die aus ihrer Heimat vertriebenen Deutschen sind die Anfang der fünfziger Jahre ausgestellten Patenschaftsurkunden. Die darin gegebenen Zusagen sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in sehr erfreulicher Weise eingehalten worden.
Es lässt sich nun absehen, dass die Erlebnisgeneration der Vertriebenen und Flüchtlinge in den folgenden ca. 15 Jahren aussterben wird. Sie hinterlässt die von ihr eingerichteten Heimatstuben, zu deren Pflege und wissenschaftlicher Betreuung die Erlebnisgeneration im Begriffe ist, eine Stiftung zu gründen. Sie will damit die Patenkreise, -städte und -gemeinden von dieser Aufgabe entlasten und schlägt ihnen zugleich vor, Zustifter zu werden.
Damit wird in wirksamster Weise erfüllt, was z.B. die Patenschaftsurkunde der Stadt Wuppertal für die deutschen Bürger von Liegnitz aussagt: Die Stadt Wuppertal will "die besondere Bedeutung der schlesischen Lande für das deutsche Volk würdigen."
Eine Zustiftung durch die derzeitigen Paten signalisiert, dass dies auch über die erste Generation hinaus gelten soll.

Wie könnte dieser Übergang in die neue Form der Patenschaft erfolgen?

4.2.1 Am Anfang sollte ein Gespräch mit dem Oberbürgermeister, dem Bürgermeister oder dem Landrat stehen, in dem wir unsere Absicht, uns der Stiftung anzuschließen, erklären, begründen und zugleich mitteilen, wie lange wir wahrscheinlich in der bisherigen Form weiterarbeiten können und ab wann aus personellen Gründen der Übergang vorzusehen ist.

4.2.2 Wir sollten unsere Absicht erklären, gemeinsam mit der Patenstadt (bzw. Kreis, Gemeinde) die Geschichte der Patenschaft in Wort und Bild zu erstellen, ggf. in Form eines Buches und/oder einer Ausstellung, mindestens zweifach, zur feierlichen Übergabe an die Patenstadt (Kreis, Gemeinde) und Ausstellung im "Patenschaftsraum" des Rathauses und mit dem zweiten Exemplar zur Mitnahme nach Görlitz, wo die Dokumentation ebenfalls als Dauerausstellung gezeigt werden soll.

4.2.3 Spätestens zum Zeitpunkt der Überführung des Inventars der Heimatstube nach Görlitz sollte die Zustiftung der Patenstadt (Kreis, Gemeinde) erfolgen, damit sie ihren Einfluss ohne Unterbrechung ausüben kann.

4.2.4 Falls es möglich ist, eine genügend große Zahl von Angehörigen der 2. oder 3. Generation, z.B. in der Schlesischen Jugend, dafür zu aktivieren, regen wir an, einen Freundeskreis mit Bürgern der Patenstadt (Kreis, Gemeinde) zu bilden, die sich alternierend in der Patenstadt, in Görlitz und in der schlesischen Heimatstadt zu einem Gedankenaustausch treffen, u. a. auch mit dem Ziel, die ggf. vorhandene Partnerschaft zwischen Patenstadt und Heimatstadt zu stärken.



5. Konzept des Museums Schlesische Heimatstuben und Patenschaften mit schlesischem Archiv

Das Konzept sieht vier Bereiche vor:

5.1 Das Museum Schlesische Heimatstuben soll die regionale Vielfalt schlesischer Landeskultur vorstellen, was auf Basis der schlesischen Heimatstuben überzeugend möglich ist.

5.2 Das Museum Patenschaften für Schlesier soll die in Jahrzehnten erbrachten Leistungen von Ländern, Kreisen, Städten und Gemeinden für die vertriebenen Schlesier dokumentieren und ein Zeugnis für kommunale Hilfsbereitschaft in Notzeiten sein.

5.3 Das Schlesische Archiv soll schlesische Archivalien zusammenführen, wissenschaftlich aufbereiten und auswerten und den Geschichts-, Heimat- und Familienforschern zur Verfügung stehen.

5.4 Die Schlesische Bibliothek soll als eine ergiebige Fundstelle für schlesische Literatur allen Interessierten, insbesondere den Schulen und Universitäten, offenstehen.



6. Konzept des Patenschaftsraumes in den Rathäusern der Patenstädte

6.1 Der Patenschaftsraum in den Rathäusern soll allen Bürgern den Zugang zur Geschichte der Patenschaft und der Heimatstadt bzw. dem Heimatkreis der vertriebenen Deutschen gestatten.

6.2 Er soll weiterhin einen Internetzugang zu den in 5.1 bis 5.4 beschriebenen Einrichtungen ermöglichen und kann betreuungsfrei oder betreuungsarm eingerichtet sein.
Damit wird das Museum in Görlitz mit den Patenstädten vernetzt und leicht zugänglich.


Die Denkschrift als pdf-Datei zum Herunterladen.